Katalog

Arbeiten aus den Jahren 1983 – 2013

Text: Heinz Thiel/Hartmut Bleß

Broschüre I

Arbeiten aus den Jahren 2011 – 2014

Broschüre II

Arbeiten aus den Jahren 2007 – 2016

Broschüre III

 Arbeiten aus den Jahren 2012 – 2016

AuswaHL VERSCHIEDENER tEXTBEITRÄGE ZU MEINER aRBEIT

Gedanken zur Malerei

Polarität kennzeichnet die Malerei von Hartmut Bleß. Vielfältige Spannungsgefüge werden souverän ausgewogen und zu Bildern dynamischer Instabilität verdichtet. Primär wirksame Elemente sind dabei Farbe und Gestus, die in unauflöslicher Interdependanz Harmonie aus Kontrasten entwickeln.   Bleß räumt der Farbe alle Autonomie ein, die malerisch realisierbar ist. Sie erscheint in kompakten, pastosen Flächen – oft in satten Schichten übereinandergelegt – aber auch transparenten Lasuren, die aquarellhaft zarte Differenzierungen ermöglichen.   Neben homogenen Aufträgen stehen Spritzer, Tropfen, Rinnsale. Spuren, in denen Farbe als Material in allen Facetten in Erscheinung tritt. Der Gestaltungsvorgang durch den Künstler jedoch lässt aus den Spannungen Ordnungen werden, die sich dem Betrachter mitteilen. In jeder Passage seiner Malerei lässt Bleß seine unverwechselbare Handschrift erkennen.   Wesentliches Gestaltungsprinzip ist dabei die Verdichtung. Weiträumige Lagen zunächst dünn auf- gelegter Farben werden durch zunehmend konzentrierenden Auftrag weiterer Farben in Schichten überlagert. Die Pinselführung entwickelt Nervosität und Sensibilität, die sich in frei verlaufenden, gelegentlich auch in kalligrafischen Schwüngen ablesen lassen. Chiffren, Zeichen und Markierungen schaffen weitere Zentren. Somit gewährt der Künstler dem handwerklich/prozesshaften Anteil der Malerei genügend Freiraum, ohne die eigene Gestaltungsabsicht zurückzustellen.   Die neueren Arbeiten von Bleß erweisen ihn als Maler, der frei von Schematismen einen eigenständigen Weg gestischer Malerei gefunden hat. Seine Bilder teilen einerseits das geistige Engagement des Künstlers mit, lassen aber andererseits ihren Entstehungsprozess offenkundig werden, sind demnach Mitteilungen über Maler und Malerei zugleich.   Aufgeschlossenen Betrachtern vermitteln Gestaltungen dieser Qualität Eindrücke von reiner Malerei, die nach Paul Klee nicht das Sichtbare wiedergibt, sondern selbst sichtbar macht.   Prof. Jost Funke       

Ich meine,

die weitestgehende Entfernung von der Gegenständlichkeit in meiner Malerei bedeutet nicht die Negation von Wirklichkeit.   Meine Sicht auf die Dinge und ihre Zusammenhänge äußert sich durch malerische Übersetzung, durch Eigenständigkeit von Farbe, Form und Struktur.   Wirklichkeit erscheint fragmentarisch, assoziativ, transformiert. Gemeint ist nicht die sichtbare, offenkundige Realität. Gemeint ist das Verhältnis zu ihr.   Hartmut Bleß     

Landschaften und Stillleben

Schwebezustände zwischen abstrahierter Wiedererkennbarkeit und vollständiger Auflösung bannt Hartmut Bleß in fließenden und pastosen Farbaufträgen auf die Leinwand.

Kräftige Farben mit sichtbaren Spuren ihres Auftrages; teils mehrfache, nicht mehr auszumachende Übermalungen; neben pastosen auch dünnflüssigere Schichten und Partien, die in verschiedenen Bereichen als Fließspuren Akzente setzen: Das sind typische Kennzeichen der Malerei von Hartmut Bleß aus Großefehn.

Die ungegenständlichen Bilder zeichnen sich durch ausgewogene kompositorische Ordnungen und Gefüge aus, die ein großes Spektrum überwiegend harmonischer Klänge erzeugen. Doch gibt es daneben immer wieder Momente von Störungen, Unterbrechungen, Dissonanzen und Widersprüchen. Mit den Worten des Künstlers: „Ich finde grundsätzlich, dass Kunst nicht (zu) schön sein darf. Das macht sie verdächtig. Kunst muss in irgendeiner Weise auch ein Totentanz sein, sie soll nicht nur die angenehme Gefühlswelt ansprechen.“

1953 in Sandhorst bei Aurich geboren, machte Hartmut Bleß das Fachabitur an der Fachoberschule für Gestaltung in Bremen. Sein späterer Werdegang war damit bereits angelegt. Das Studium der Freien Malerei an der Hochschule der Künste in Berlin beschloss er als Meisterschüler bei Prof. Klaus Fußmann. Neben verschiedenen Tätigkeiten wie etwa an der Malschule der Kunsthalle Emden und der Ländlichen Akademie Krummhörn hat er sich auf die Vermittlung von Kunst und künstlerischen Techniken etwa an der Kreisvolkshochschule Aurich und in Jugendprojektwerkstätten konzentriert. Seit 2001 hat er sein Hauptaugenmerk wieder auf die eigene Malerei und seit 2003 zudem auf Bildhauerei gerichtet.

Während Fußmann vornehmlich für seine starkfarbigen Landschafts- und Blumenbilder mit hohem Realitätsbezug bekannt ist, bewegte sich Bleß schon während des Studiums weg von der Gegenständlichkeit hin zur informellen Malerei. Etwa ab 2004 brach allerdings – zunächst verhalten – eine Gegenständlichkeit Bahn, die Anklänge an Stillleben und Landschaften besitzt. Vor allem die heimatliche, ostfriesische Landschaft ist es, die er in vielen Bildern thematisiert, wobei das Verhältnis von Annäherung an den naturalistischen Charakter der Natur einerseits und Abstraktion bis an die Grenze der Gegenstandslosigkeit andererseits sehr variabel sein kann.

Arbeiten wie Himmelnochmal oder Landschaft Z von 2015 evozieren nicht zuletzt durch den hohen Materialgehalt an Farbe einen „Perspektivwechsel“ bzw. ein „Kippen“ von Ansicht zu Aufsicht oder umgekehrt. Ganz gleich, ob vermeintlich Luft, Wasser oder Boden „dargestellt“ ist: Die Materie bestimmt nicht den Farbauftrag; und er verlockt stets, mit den Fingern die Bilder Stück für Stück zu erkunden, um dem mit den Augen Gesehenem weiteren Gehalt hinzuzufügen.

Vieles liegt im subjektiven Wahrnehmungsempfinden des Betrachters begründet. Bildtitel fungieren dann wie Ratgeber bzw. Hilfesteller und „führen“ den Betrachter wie eine Art Leitfaden durch die Arbeiten. Ihr Anliegen besteht jedoch kaum darin, den Betrachter in starre Deutungsbahnen zu zwingen. Eher finden sich Ironie und Witz – etwa in Titeln wie „Glaube zersetzt Berge“ oder „Abendrot macht Wangen tot“.

Alexander Langkals

Landschaftsmalerei

Einführungsrede (Auszüge)

Sicherlich haben die Menschen schon immer ihre Umwelt bewundert, ist sie doch ihr Lebensraum von Anfang an. Für die Nahrungsbeschaffung bei Jagt und Ackerbau musste sie genau beobachtet werden. Landschaft war seit Anbeginn das vertraute oder feindliche, bedrohliche Gegenüber, eine Projektionfläche für Wünsche, Hoffnungen und Dämonen. Kultstätten haben seit jeher einen deutlichen Bezug zu Himmelsrichtungen und besonderen landschaftlichen, geografischen Gegebenheiten. Denken wir an Stonehenge oder die Externsteine, denken wir an die Dolomiten, erinnern wir blühende Raps- und Distelfelder in der ostfriesischen Marsch, so wird nachvollziehbar, wie das Erscheinungsbild einer Gegend deutlich emotional besetzt ist. Dies emotionale Kraft geht an einem Kunstmaler wie Hartmut Bleß nicht unbeachtet vorüber. Die Signale, die er für sich in der Landschaft spürt und wahrnimmt, stimulieren ihn zur malerischen Übersetzung. Bleß bemerkt dazu: „Wirklichkeit erscheint fragmentarisch, assotiativ, transformiert. Gemeint ist nicht die sichtbare, offenkundige Realität – gemeint ist das Verhältnis zu ihr“. Ein Verhältnis deutet hier vor allem das Gegenübertreten und ist als Distanz zu verstehen, mit dem ein offener Freiraum entsteht.

Nicht von Anfang an war die bildliche Darstellung eines Naturpanoramas Gegenstand in der Malerei. Über viele Dekaden ist in Europa erbittert darüber gestritten worden, was sich in der Kunst als „Lanschaftsmalerei“ betiteln durfte und was davon auszuschließen sei. Jahrhunderte lang galt mit Sehnsucht nach der Antike die „ideale“ Landschaft als allein gültig.

Es wird deutlich, dass sich der Begriff „Landschaft“ in der Kunst stark gewandelt und in alle möglichen Richtungen geöffnet hat. Damit stellt sich für den Künstler im Besonderen die Frage: „Auf welche Position konzenriere ich mich?“ Solchen inneren Zweifeln, der Selbstreflexion, dem Innehalten, der Selbsterschütterung, das kann sogar bis zu Depressionen reichen, begegnen wir bei Hartmut Bleß. Das muss kein Endpunkt sein, vielmehr eine abrupte Erkenntnis, die er so beschreibt: „Die ungegenständliche Malerei war für mich erschöpft, leer gemalt.“ Seine Befürchtung betraf die Sorge, in eine festgefahrene Schiene zu geraten, in eine bestimmte Manier oder verinnerlichte Klischees abzugleiten. Die Lösung dieses Dilemmas sucht er in der Herausforderung, wie er sagt, ein „ordentliche Maler“ zu werden und Landschaften so gegenständlich zu malen, wie er sie sieht. Diese Einstellung teilt er mit dem dänischen Maler Per Kirkeby, der 1978 in ähnlicher Lage beschloss, „ernster Maler“ zu werden. Wir müssen Bleß dabei jedoch zugestehen, dass er Landschaften nicht einfach nur so sieht, sondern dass er sie mit den besonderen, begabten Augen eines Kunstmalers, eines Malers der Farben sieht.

Auf seinen Wegen und Fahrten durch Ostfriesland nimmt Bleß das, was er als schön, faszinierend, oder zum Malen geeigent erkennt, wahr. Daraus werden für ihn Erinnerungen, Assotiationen, Fragmente, eingeprägte und erfahrene Bilder. Landschftsbilder entstehen aus dem Erleben besonderer Lichtverhältnisse, Perspektiven oder Ansichten und aus dem Entdecken skurriler, ungewöhnlicher Formationen.  Bei seinen Motiven bleibt er Realist. Neben dem handwerklichen Können kommt in der Umsetzung der Details die Kreativität, der entsprechende Grad der Abstraktion ins Spiel. In den Akt der Abstraktion fließt die Selbstkritik und die Kreativität ein, sie baut das Gesehene zu einem Gemälde um. Was zeigen die Ansichten seiner Bilder? Sie bieten einen Blick auf das Prosaische, Alltägliche, Beiläufige, Banale. Einen angewehten Laubhaufen, eine zufällig gesehene Baumreihe, eine an einem Ackerrand stehengebliebene Wasserlache. Damit wird die Alltäglichkeit der Landschaftsdarstellung unterstrichen. Die beiläufige Darstellung der Dinge zeigt das eigentliche Ziel der Malerei – den Akt des Malens selbst. Sichtbare Pinselstriche sind nicht gestisch zu verstehen, denn durch die Art des Farbauftrags soll das Farbmaterial betont, die Farbe als Stoff hervorgehoben werden. „Farbe muss man schmecken, man muss sie spüren auf der Zunge. Farbe muss jene Sinnlichkeit haben wie der Biss in einen Apfel oder der Handschlag eines Freundes,. Malen ist ein Beschwörungsritual. Sehen ebenfalls“. Wenn das nicht Emil Schumacher 1997 gesagt hätte, so müsste ich es heute als Zitat von Hartmut Bleß vortragen.

Die flache ostfriesische Landschaft verführt uns nicht mit schroffen oder lieblichen Bergen, dramatischen Schluchten, hält nichts Heroisches parat. Sie erscheint in ihrer Geradlinigkeit eo ipso als eine Abstraktion. Erscheinungen in der Landschaft werden von Bleß manchmal mikroskopisch herausgegriffen und in Nahaufnahme dargestellt oder sie behalten ihre Dimensionen. Doch dann verlieren die Gegenstände mit zunehmender Abstraktion ihre Naturalistik, bis schließlich ein nicht mehr erkennbares, informelles Farbfeld übrigbleibt. Die Dinge wechseln von Gegenstandskörpern zu Farbkörpern. 

Bleß malt aus einer geistigen Beschäftigung und Fragestellung heraus. Er will herausfinden, was Malerei ist, dahinterkommen, wie sich Bilder und Farben bilden, was sie erschafft. Wie ensteht der inhaltliche, sinnliche Zusammenhang eines gesehenen Bildes und wie lässt er sich malerisch umsetzen.

Giesbert Saal

Katalogtext

(Auszug)

Erste Eindrücke und Gedanken bei einem Treffen

Wie kommt man Bildern nahe, Gemälden, die so zerrissen und wild aussehen, wie die von Hartmut Bleß? Natürlich: man muss sich vor sie stellen oder zwischen sie setzen. Und man sollte sich fühlen wie im Wartezimmer eines Arztes, geduldig und erwartungsvoll. Ich traf erst auf den Maler, dann auf sein phaszinierend einfaches und aufregend anderes Haus im ländlichen Industriegebiet in den flachen Tiefen Ostfrieslands und dann auf die Gemälde, die mit dem Betrachter ringen und spielen.

Ein langer Abend und zwei Stunden Gesräch nach dem Frühstück waren notwendig, damit ich die Malerei von Hartmut Bleß annehmen und würdigen konnte. Und das Betrachten der Arbeiten am PC kam noch dazu. Die künstliche Farbigkeit gestattete, dass mich die Bilder anspringen konnten. Allerdings wurden sie mir dann auch gleich wieder entrissen, weil es ja nicht die Bilder waren, die mich direkt umgaben.

Haben die Gemälde Tiefe? Ja, wenn man sie als Landschaften erkennt. Die Gemälde gewinnen mit dem Abstand: die Entfernung von der Farb-Erzählung gibt ihnen einen Zusammenhalt, ein Gefüge. Von Nahem sind es gesetzte und durch neue Farben wieder aufgehobene Felder; keine Kontinuität, nur Vergänglichkeit.

Der Künstler selbst: „Neben der normalen Fernansicht hat der Betrachter die Möglichkeit, von nahem zu schauen und in den Bildern zu lesen, sich von all den feinen Spuren und Nuancen durch die Fläche leiten zu lassen. Diese Spuren sind Chiffren und stehen für die Unzahl aller geistig-emotionalen Zustände und Verwerfungen, in die das Leben einen führt und die in ihrer Komplextät oft so schwer erkennbar und einzuordnen sind – aber doch immer einen erheblichen Einfluss auf einen (mich) ausüben und das Leben so spannend machen. Da ich nicht so viel von glatter, widerspruchsloser Ästhetik halte, versuche ich so eine spannungsreiche und in diesem Sinne bestenfalls erträgliche, vielleicht auch sperrige Harmonik zu erzeugen (und muss mich deswegen vielleicht auch nicht wundern, dass so viele Menschen keinen oder nur schwer Zugang zu meinen Arbeiten finden). So sind auch die ikonographischen Bezüge zur sichtbaren Gegenständlichkeit (manchmal/oft) bis zur Unkenntlichkeit verfremdet. Schöne, aber ansonsten langweilige Bilder interssieren mich wenig bis gar nicht. Wenn die Bilder nicht darunter leiden würden, sähe ich es gerne, wenn der Betrachter sie auch mit seinen Fingern abtasten und erfühlen würde. So müssen quasi die Augen die Finger ersetzen.

Titel sind für Bleß offenkundig keine Hinweise zum Verständnis für einen Betrachter. Ganz ausblenden will er ihre assoziativen Wirkungen aber wohl auch nicht. Bilder dieser Coleur sind reine Solitäre, sie brauchen Platz, möglichst viel weiße Fläche um sich. Sie müssen sich ausbreiten können.

Kunst ist vielfach ein Kommunikationsprozess zwischen Vor-Bildern und einer aktuellen, eigenen Befindlichkeit, ein Stück Augenblickserklärung von Welt.

Heinz Thiel